Forschung an der Schnittstelle von Ingenieur- und Lebenswissenschaften löst Probleme die real existieren

Im Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Jens Kleesiek, Professor für Translationale bildgestützte Onkologie am Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin des Universitätsklinikums Essen. Der 46-jährige Mediziner ist zudem promovierter Informatiker und analysiert Bildaufnahmen und klinische Daten von Patienten mit Hilfe von Machine Learning-Verfahren.

Organisation:Universitätsklinikum Essen
Fachgebiet:Ingenieur- und Lebenswissenschaften
Themenschwerpunkte:Life Science Technologies

Prof. Kleesiek, warum ist Forschung an der Schnittstelle von Ingenieur- und Lebenswissenschaften so wichtig?

Jens Kleesiek: Weil man hier Probleme und Herausforderungen löst, die real existieren. Das gelingt nicht immer, wenn man nur von der einen Seite auf die Medaille schaut. Man versucht zwar, sich in den anderen hineinzuversetzen, oft drückt der Schuh aber an einer ganz anderen Stelle. Wichtig ist, dass man gemeinsam eine relevante Fragestellung entwickelt. 

Außerdem fördert es den Pragmatismus in der Zusammenarbeit, was zu Ergebnissen führt. Wenn eine Disziplin zu sehr in die Tiefe geht, findet sie häufig nicht die relevanten Fragestellungen. Das gelingt gemeinschaftlich viel besser.
 

Wichtig ist, dass man sich gemeinsam auf relevante Fragestellungen einigt.
Prof. Dr. Dr. Jens Kleesiek
Professor für Translationale bildgestützte Onkologie am Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin des Universitätsklinikums Essen

Welche Entwicklungen erwarten sie für die nächsten Jahre?

Es wird sich einiges ändern. Ich erwarte, dass wir verschiedene Innovationen und Ansätze in den kommenden Jahren nicht nur in die Forschung, sondern auch in die Anwendung bringen können. Wir werden KI-Anwendungen in den Arbeitsablauf integrieren, die so selbstverständlich wie Fahrassistenzsysteme beim Auto sein werden. Beispielsweise könnte dies zu einer Zeitersparnis bei der Vorbereitung vom Tumorbord führen.

Dabei entsteht idealerweise eine Symbiose zwischen Mensch und Maschine. Meine Hoffnung wäre dabei, dass wir uns bald mit der Maschine unterhalten können, wie mit einem Menschen. Die Maschine stellt uns dann auch Gegenfragen.

Bislang reproduzieren Maschinen lediglich bekannte Informationen, darin könnte eine Gefahr liegen. Meine Befürchtung ist, dass Kreativität und Innovation verloren gehen. Man muss die Methoden so weiterentwickeln, dass wir neues Wissen und Erkenntnisse generieren. Beispielsweise können wir durch die Auswertung großer Datenmengen mit KI-Methoden neue Hyopthesen entwickeln. Wichtig ist, dass wir diese dann in Experimenten validieren.

Viele KI-Anwendungen werden selbstverständlich werden.
Prof. Dr. Dr. Jens Kleesiek
Professor für Translationale bildgestützte Onkologie am Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin des Universitätsklinikums Essen

Gibt es typische Missverständnisse bei der Zusammenarbeit zwischen Lebens- und Ingenieur-wissenschaftler:innen?

Jede Disziplin hat ihre eigene Art und Weise an etwas heranzugehen. Zum Beispiel schauen Ingenieure oder Informatiker bei der Bildanalyse gerne auf die technische Seite und die Metriken, also Zahlen, die optimiert werden sollen. Zahlen sind aber nur ein indirektes Mass für die Güte der Methode. Gerade im medizinischen Bereich muss man sich immer auch die originalen Daten und Patientenbeispiele anschauen. Man sollte immer hinterfragen, was für den Nutzer und Patienten relevant ist. Umgekehrt fehlt auf Seiten der Mediziner oft das Verständnis für die Komplexität von Algorithmen: was ist leicht realisierbar und was ist technisch noch nicht gelöst oder nicht in akzeptabler Zeit berechenbar. Eine kleine Ergänzung oder Änderung kann dann eine umfangreiche Neuprogrammierung erfordern – oder ist vielleicht gar nicht umsetzbar.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist sehr wertvoll. Alle Beteiligten, nicht zuletzt auch Patienten, profitieren davon.
Prof. Dr. Dr. Jens Kleesiek
Professor für Translationale bildgestützte Onkologie am Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin des Universitätsklinikums Essen

Ist eine interdisziplinäre Ausbildung die Lösung?

Interdisziplinarität ist extrem wichtig, sollte aber nicht auf Kosten der Tiefe umgesetzt werden. Ich bin etwas skeptisch gegenüber neuen Studiengängen, die zu viele Bereiche abdecken wollen. Man sollte erst ein ordentliches Fundament aufbauen und so vermeiden, dass man sich viele Dinge nur oberflächlich aneignet. Zu einem späteren Zeitpunkt, beispielsweise im Master, kann man dann darauf aufbauen und hat dann auch das Know-how, um das Gelernte für eine neue Domäne einzusetzen. 

Welche Rolle spielen interdisziplinäre Forschungsteams?

Es ist am besten gemeinschaftlich möglich, Fortschritt zu generieren und relevante Herausforderungen anzugehen.

Welche Chancen bieten KI /Ingenieurwissenschaften in der Medizin?

Neben der Optimierung von Arbeitsprozessen, und damit der Möglichkeit gegen den Fachkräftemangel anzugehen, können KI-Verfahren auch eingesetzt werden, neue Hypothesen zu generieren. Bisher werden mit diesen Verfahren in medizinischen Daten hauptsächlich Korrelationen entdeckt. Wir arbeiten auch daran, Kausalitäten, und damit neue Erkenntnisse, zu finden. Diese sollen dann neue Diagnostische und Therapeutische Möglichkeiten bieten.

Methoden, Daten und Fragestellungen richtig zu kombinieren wird dabei ein entscheidender Faktor sein. Die Technik kann hier Bindeglied sein, um die Vielzahl an Informationen zu beherrschen und effizient Fragen an die Daten zu „beantworten“. Unsere Vision ist eine integrierte Diagnostik. Bei der integrierten Diagnostik sollen sämtliche Information zum Patienten und fächerübergreifendes medizinisches Wissen durch KI und Technik kombiniert werden. Dies soll zu einer effizienteren und auch besseren Diagnostik sowie Therapie führen.
 

Medizinische Daten können neue Therapieansätze ermöglichen. Wir nutzen die Maschine, um Zusammenhänge zu erkennen. Aber letztlich sind das nur Hypothesen. Die Hypothesen müssen dann wieder in die Realität übertragen und geprüft werden.
Prof. Dr. Dr. Kleesiek
Professor für Translationale bildgestützte Onkologie am Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin des Universitätsklinikums Essen

Welche Chancen aber auch Herausforderung sehen sie im Prozess der Übertragung neuer Entwicklungen bis zum Patienten?

Zusammenfassend bietet sich die Chance einer ganzheitlichen Diagnostik, die mehr Zeit für den Patienten lässt.

Die Herausforderung dabei wird sein, dass wir neue Methoden in Deutschland und Europa auf die Straße kriegen.
 

Steht Deutschland im internationalen Vergleich so schlecht da?

Nein. Wir haben sehr helle Köpfe und viele Innovationen kommen aus Deutschland. Aber wir sind nicht umsetzungsstark. Wir brauchen in der Mentalität mehr „jetzt mach ich mal“. 

Man muss die Chancen mehr in den Vordergrund stellen und darf sich durch die Herausforderungen nicht lähmen lassen. Dafür muss ein Rahmen geschaffen werden. Das Ökosystem bei uns am Universitätsklinikum Essen kann hier ein Vorbild sein. Wir bekommen Anfragen aus der ganzen Welt, auch aus den USA.

Und last but noch least: Welche Forschungsprojekte würden Sie gerne gefördert sehen?

Da sehe ich vor allem zwei Richtungen: zum einen ist die Förderung von Hochrisikounterfangen sehr wichtig. Auch Projekte, für die es noch keine oder nur wenige Vorarbeiten gibt, müssen gute Chancen haben, gefördert zu werden. Nur so können wir schnell neue Idee überprüfen und so auch neue Richtungen finden. Zum anderen muss auch der Aufbau von Infrastruktur und dazugehörige Technologien gefördert werden. Dies schafft nachhaltige Strukturen und erleichtert dann viele Forschungsprojekte.